Zum erweiterten Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Deutschland - Anmerkungen von YouTube
27 Jul, 2021 – Lesedauer: [[read-time]] Minuten
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Gut drei Jahre nach Einführung des ersten Netzwerkdurchsetzungsgesetzes („NetzDG”) hat die Bundesregierung ein umfangreiches Gesetzespaket auf den Weg gebracht. Durch das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität, das im April diesen Jahres in Kraft getreten ist, wurde die Anzahl der im NetzDG genannten Straftatbestände auf insgesamt 22 erhöht sowie einige bestehende Straftatbestände inhaltlich erweitert. Hinzu kam eine Verpflichtung, ab Februar 2022 proaktiv und automatisch Daten von Nutzer:innen an das Bundeskriminalamt (BKA) weiterzugeben, wenn Plattformen von einem Verstoß gegen bestimmte Straftatbestände ausgehen. Im Rahmen des Ende Juni 2021 in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes wurden die bestehenden NetzDG-Verpflichtungen in Bezug auf Transparenz, aber auch durch die zusätzliche Einführung eines sogenannten Gegenvorstellungsverfahren erheblich erweitert.
Google und seine Tochtergesellschaft YouTube haben die Ziele des NetzDG, das Internet sicherer zu machen und rechtswidrige Hassrede im Netz zu bekämpfen, seit jeher unterstützt. Unsere Mitarbeit in der “Task Force Hate Speech” vor der Einführung des NetzDG wurde ebenso positiv hervorgehoben wie die bisherige Umsetzung des NetzDG. In ausführlichen Transparenzberichten informieren wir seit Juli 2018 im halbjährlichen Turnus über unsere Arbeit im Zusammenhang mit dem NetzDG. Danach haben wir alleine im abgelaufenen Berichtszeitraum (2. Halbjahr 2020) über 73.000 Inhalte auf YouTube entfernt oder gesperrt, über 88 Prozent davon binnen 24 Stunden nach Eingang der Beschwerde (wobei dies nicht bedeutet, dass all diese Inhalte offensichtlich rechtswidrig waren). Viele Beschwerden werden nach Prüfung von uns zurückgewiesen, da sie weder gegen die YouTube Community Richtlinien noch gegen das deutsche Strafrecht verstoßen. Zuletzt war dies in rund 77 Prozent der gemeldeten Inhalte der Fall.
Mit dem erweiterten NetzDG soll unter anderem die Strafverfolgung gegen diejenigen, die Plattformen wie YouTube zur Verbreitung von Hass und Hetze missbrauchen, verbessert und beschleunigt werden. Bereits seit vielen Jahren kommt Google Auskunftsersuchen der mit der Strafverfolgung oder Gefahrenabwehr befassten Behörden in Deutschland nach. In den vergangenen Jahren ist die Zahl dieser Ersuchen signifikant gestiegen. Allein von Januar bis Juni 2020 hat Google knapp 12.500 Anfragen von Behörden aus Deutschland erhalten. In 75 Prozent der Fälle kamen wir dem Antrag auf Auskunft nach und legten die geforderten Daten vor. Darüber hinaus beauskunften wir präventiv relevante Informationen an staatliche Stellen, wenn wir Grund zur Annahme haben, dass es eine unmittelbar bevorstehende Bedrohung gibt oder jemand einen schweren körperlichen Schaden erleiden könnte. Derartige Auskünfte erachten wir als zulässig im Rahmen des geltenden Rechts sowie anhand unserer Richtlinien.
Im Rahmen des neuen NetzDG wurden - trotz all dieser Bemühungen - und gegen den Widerstand zahlreicher Vertreter von Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, nicht zuletzt auch vom Wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages, die Vorgaben für soziale Netzwerke und Video-Sharing-Plattformen zur Weitergabe von Nutzer:innendaten deutlich verschärft. So werden die betreffenden Anbieter künftig dazu verpflichtet, bei konkreten Anhaltspunkten für die Erfüllung bestimmter Straftaten diese Inhalte an das BKA über eine durch die Behörde zur Verfügung gestellte elektronische Schnittstelle automatisch weiterzugeben, damit von dort aus eine Strafverfolgung durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden veranlasst werden kann. Dabei sollen auch die jeweiligen Nutzernamen, IP-Adressen und Port-Nummern (eine mehrstellige Ziffer, mit der Dienste eines Rechners gekennzeichnet werden), sofern vorhanden, sowie weitere Daten der betreffenden Nutzer:innen übermittelt werden. Erst danach prüft das BKA, ob die übermittelten Inhalte auch tatsächlich strafrechtlich relevant sind. Der Gesetzgeber selbst schätzt, dass in rund 40 Prozent der durch die Anbieter weitergegebenen Inhalte tatsächlich kein strafbarer Inhalt vorliegt. Nutzer:innen, die rechtmäßige Inhalte veröffentlichen, müssen demnach befürchten, dass ihre personenbezogenen Daten in Datenbanken der Polizei gespeichert werden. Einmal weitergegebene Daten können nicht mehr zurückgenommen werden.
Dieser massive Eingriff in die Rechte unserer Nutzer:innen steht unserer Ansicht nach nicht nur in Konflikt mit dem Datenschutz, sondern auch mit der deutschen Verfassung und Europäischem Recht. Neben der Übertragung hoheitlicher Aufgaben auf private Unternehmen sind hier besonders fehlende rechtsstaatliche Kontrollen sowie das Entstehen umfassender Datenbanken mit personenbezogenen Daten einer großen Zahl von Nutzer:innen beim BKA zu nennen, darunter zahlreicher Nutzer:innen, die sich rechtmäßig verhalten haben. Die Rechte der Betroffenen werden ferner ausgehebelt, da die Anbieter ihre Nutzer:innen nicht über die Weitergabe ihrer Daten informieren dürfen, zumindest nicht innerhalb der ersten vier Wochen.
Für uns ist der Schutz der Daten unserer Nutzer:innen ein zentrales Anliegen. Wir haben uns daher entschlossen, die betreffenden Verpflichtungen des Gesetzespakets durch das Verwaltungsgericht Köln im Rahmen einer Feststellungsklage prüfen zu lassen. Wir sind der Auffassung, dass uns erst nach ausführlicher Prüfung durch ein Gericht und richterlicher Bestätigung eine derart massenhafte Weiterleitung personenbezogener Nutzer:innendaten an die Strafverfolgung möglich ist.
Der Kampf gegen Hass und Hetze im Netz ist für uns - insbesondere im Vorfeld der Bundestagswahl - von größter Bedeutung. Umso wichtiger erscheint es uns, bei der Gestaltung des rechtlichen Rahmens mit Augenmaß vorzugehen. Der legitime Anspruch einer effektiven Strafverfolgung muss hier mit den Erfordernissen der Datenschutzgrundverordnung, dem Recht auf Meinungsfreiheit und anderen Eckpfeilern des Rechtsstaates in Einklang gebracht werden. Wir werden weiterhin mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz sowie anderen Behörden zusammenarbeiten, berechtigten Anfragen zur Datenauskunft nachkommen und in Fällen von Gefahr für Leib und Leben wie bisher Daten auch proaktiv weitergeben. Es geht uns um ein gemeinsames Anliegen: das Netz als offene Plattform für einen zivilen und konstruktiven Austausch zu verteidigen.